Sollte man sich mit Fragen des gesellschaftlichen Miteinander befassen, während die gesamte Menschheit von einer existenzgefährdenden „Naturkrise“ bedroht ist? Müsste nicht die Abwendung dieser Krise aufgrund ihrer Dringlichkeit vordergründig thematisiert werden? Oder ist es umgekehrt, haben die meisten nicht ganz andere, viel dringlichere Sorgen und brauchen ihre ganze Energie dazu, sich und Ihre Familien zu unterhalten? Wie privilegiert muss ein Mensch sein, um sich mit Themen wie dem Klimawandel befassen zu können? In seinem Artikel „Fratelli tutti im Schatten des Anthropozän“, erschienen in der Grünen Reihe Nr. 121, zeigt Wolfgang Sachs eindrücklich, wie untrennbar beide Bereiche, der der sozialen Ungleichheit und der der Naturkrise miteinander verbunden sind.
Menschliche Aktivität formt die Erdoberfläche und ihre Atmosphäre im großen Maßstab und auf Dauer. Der Begriff des Anthropozän drückt aus, dass der Mensch heutzutage als geologische Kraft verstanden werden muss, mit Auswirkungen auf die Erde ähnlich wie Vulkanausbrüche oder Erdbeben. Die Überlastung der Biosphäre führt zu einem Rückgang der Artenvielfalt, einem Anstieg der Temperaturen, leeren Fischgründen, und einer Anreicherung von toxischen Substanzen in Böden und Gewässern. All diese Aspekte kommen in der Enzyklika ‚Fratelli tutti‘ von Papst Franziskus, die Leitthema der Grüne Reihe 121 ist, nicht vorrangig zur Sprache – dem Papst geht es in seinem Schreiben in erster Linie um das zwischenmenschliche Miteinander auf globalem Maßstab. So kritisiert er vor allem die Ursachen von Unterdrückung, Flucht, Vertreibung und Ausbeutung sowie die Gleichgültigkeit vieler gegenüber diesen menschenverachtenden Zuständen.
Wolfgang Sachs zeigt in seinem Beitrag, wie eng die vom Papst adressierten globalen Ungleichheiten in Zusammenhang stehen mit der anhaltenden Ausbeutung der Natur. Die für die Überlastung der Biosphäre verantwortlichen Emissionen und umweltschädlichen Praktiken, so Sachs, seien global sehr genau zu verorten: „Wenn man die Weltbevölkerung nach Einkommensklassen betrachtet und deren Anteil an den CO2-Emissionen unter die Lupe nimmt, tritt eine gewaltige Kluft zu Tage:
Im Jahr 2015 verursachte der Konsum der 50% der Einkommensstarken der Weltbevölkerung sage und schreibe 93% der CO2-Emissionen, während die 50% der Ärmeren nur 7% der Emissionen auslösten. […] Die oberen 10% der Einkommenspyramide stießen im Jahre 2015 etwa die Hälfte der globalen Emissionen aus […]“.
Mit einem differenzierten Blick auf die Klimaemissionen kommt die soziale Spaltung der Welt zum Vorschein: „Flugreisen, Immobilien, Steaks geben in der globalen Oberklasse den Ton an, gebrauchte Autos, Waschmaschinen, Klimaanlagen sind in der Mittelklasse üblich, während die Klasse der Habenichtse sich mit Stehplätzen in Bussen, Mangelernährung oder Latrinen zufriedengeben muss.“ Auch die Betrachtung des Handels mit klimaschädlichen Materialien führt zu diesem Bild: „Ganze vier Konzerne haben einen Anteil von 84% am globalen Pestizid-Markt, fünf sind zu 90% verantwortlich für den Palmöl-Markt […] zehn weitere kontrollieren 72% der Öl- und 51% der Gasreserven. Wobei sie ihre Hauptquartiere selbstredend in den Wolkenkratzern vorwiegend in Nordamerika, Europa, China und dem Mittleren Osten haben.“
Sowohl für die soziale Krise der gesellschaftlichen Spaltung als auch für die Klima- und Umweltkrise bleibt Sachs zufolge nur ein Ausweg:
„der geordnete Rückzug aus der imperialen Lebensweise. Denn es ist nicht erkennbar, wie etwa die Massenmotorisierung, klimatisierte Einfamilienhäuser oder ein hoher Fleischkonsum allen Weltbewohnern zugänglich gemacht werden könnte. […] Ohne eine Mäßigung des Reichtums wird keine Mäßigung der Armut gelingen.“ Es kommt darauf an, „den ökologischen Fußabdruck der Menschheit mit der Regenerationsfähigkeit der der Biosphäre wieder in Einklang zu bringen, wobei es die 50% der Wohlhabenderen ungleich härter trifft als die 50% der Ärmeren der Weltbevölkerung, die hingegen einen Anspruch auf ein besseres Leben haben.“
„In der Erdgeschichte ist das Anthropozän eine Katastrophe, vergleichbar mit einem Meteoriteneinschlag mit anschließender Klimaveränderung“, so der ehemalige Leiter des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Ist es möglich, trotz dieser düsteren Perspektive Hoffnung bewahren? Sachs verweist an dieser Stelle auf das biblische Motiv „spes contra spem“ (hoffen entgegen aller Hoffnung): Die Geschichte laufe „keineswegs nur in linearen Bahnen ab, sondern ist mit nichtlinearen Ereignissen durchsetzt.“ Der Fall der Berliner Mauer, Pandemien aber auch Bewegungen wie Fridays for Future seien unvorhersehbar und folgenreich.
Hoffnung, das wusste schon Václav Havel „ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas einen Sinn hat, egal wie es ausgeht.“
Hunger, Flucht und Vertreibung, extreme Armut, Ausbeutung von Mensch und Umwelt – all das sind Themen, denen wir uns nicht nur in unserer Projektarbeit widmen. Die Franziskanische Zukunftswerkstatt setzt sich eine Aufklärungsarbeit zum Ziel, die die globalen Zusammenhänge und strukturellen Ungleichheiten ersichtlich macht, welche die multiplen Krisen unserer Zeit verursachen.
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